Kapitel 1
Wieder einmal stand Sigma gedankenverloren auf der Brücke seines Frachters und blickte in das weite Weltall. Sein Kapitän schaute immer wieder mit besorgter Miene zu dem Kommandanten rüber, aber wie jedes Mal traute er sich auch diesmal nicht, etwas zu sagen. Dem Rest der Crew ging es nicht anders.
Drei Jahre war es bereits her, als Sigma in einem abgestürzten Rauschiff auf einem fremden Planeten erwachte. Ohne Erinnerung, was geschehen war. Ohne Erinnerung, wer er überhaupt ist. Das Schiff konnte er zwar wieder flugfähig machen, aber die Datenbanken waren irreparabel beschädigt. So konnte er auch nichts über seine Identität herausfinden. Und natürlich konnte oder wollte auch keine der höherentwickelten Lebensformen in der Nähe irgendwelche hilfreichen Auskünfte zur Identität des Schiffbrüchigen machen.
Den Begriff „Sigma“ las er auf einem beschädigten Teil, als er das kleine Raumschiff reparierte. Wie er später herausfand, hielt es sich dabei um eine Art Klassifizierung, die z.B. zur Kennzeichnung der Leistungsfähigkeit einer Komponente verwendet wird. Da Sigma seinen echten Namen nicht kannte und ihm das Wort gefiel, stellte er sich anderen fortan damit vor.
In den letzten drei Jahren bereiste Sigma unzählige Systeme und erforschte unzählige Planeten. Er suchte überall nach Informationen zu seiner Identität oder zumindest nach Lebensformen, die ihm wenigstens ähnlich sahen und eventuell Angaben zu seiner Herkunft machen könnten. Um die Erforschung zu erleichtern, suchte er sich Unterstützung: Nach der Rettung eines Frachters vor Weltraumpiraten wurde Sigma zum neuen Kommandaten des großen Schiffes ernannt. Zusätzlich engagierte er zahlreiche Fregatten, die er regelmässig auf eigenständige Erkundungsmissionen schickte. Sigma errichtete ebenso mehrere Stützpunkte auf verschiedenen Planeten in verschiedenen Systemen, darunter ein Hauptquartier, eine Unterwasserstation und eine kleine Farm, die zur Kultivierung verschiedener Pflanzenarten diente. Im Hauptquartier ließ er die Entwicklung von Waffen, Fahrzeugen und weiteren fortgeschrittenen Technologien erforschen. Letzten Endes diente alles der Suche nach Sigmas wahrer Identität. Fahrzeuge und zusätzliche Flottenschiffe sollten die Erforschung erleichtern und beschleunigen, während die Pflanzen z.B. zur Produktion notwendiger Treibstoffe oder als Baumaterialien verwendet wurden. Doch auch nach Jahren konnte er keinen wirklichen Durchbruch erzielen.
Zu Beginn seiner Forschungen war Sigma noch sehr enthusiastisch und hoffnungsvoll, aber im letzten Jahr wandelte sich dies mehr und mehr zu Verzweiflung und seit einigen Tagen kamen auch noch mysteriöse Träume dazu. Verschwommene Bilder von einem kleinen Jungen, der eine große, scheinbar antike Schrifttafel studierte. Die Tafel bestand aus vielen einzelnen Teilen, die an einer Seite verbunden waren und Texte und Bilder enthielten. Die einzelnen Teile waren noch bedeutend flacher als ein Standard-Tablet, in ihrem Gesamtverbund aber bedeutend dicker als ebensolches. Trotzdem schien die Schrifttafel insgesamt weitaus weniger Daten zu beinhalten, als es auf einem flacheren Tablet möglich gewesen wäre.
Der Junge in Sigmas Traum schien sich auch nur für bestimmte Teile der Schrifttafel zu interessieren und dort auch mehr für die Bilder als für den Text. Trotzdem konnte sich Sigma immerhin an einzelne Wörter erinnern, die darin vorkamen: Erde, Mars, Jupiter, Saturn. Es schien sich um die Namen von Planeten eines weit entfernten Systems zu handeln. War dies etwa sein Heimatsystem?